TAG 9: 02.08.2002 / B ||| KALTES KLARES WASSER UND WEICHER WARMER KÄSE

Teil 2 der heutigen Reiseroute = Colmar/Epinal/Nancy/Verdun


Frankreich kann auch ganz anders sein, als gedacht. Das habe ich im Elsaß festgestellt und das zeigt sich nun auch bei meiner Fahrt durch die Vogesen. Durch die muss man nämlich fahren um von Colmar nach Nancy gelangen. Ich dachte mir vorher: Vielleicht existiert tatsächlich abseits der französischen Autobahnen und großen Landstraßen eine andere Kultur, die weniger hektisch, mehr beschaulich, mehr alltäglicher ist, und genauso war es. Man muss auch nicht immer über das vom Wasserflaschennamen her bekannte Vittel fahren um die Vogesen kennenzulernen; Vittel ist zudem viel unscheinbarer als der Eindruck annehmen lässt, den sein Name auf dem internationalen Getränkemarkt hat – so wurde mir versichert. Ich fahre statt dessen mitten durch die Vogesen, was in meinem Fall aber auch heißt: mitten durch den Nebel. Der liegt als Ergebnis der letzten beiden feuchten Tage selbst am frühen Nachmittag noch schwer auf und in den Wäldern. Wenige Fahrzeuge kommen mir entgegen, alle mit Nebelscheinwerfern und teilweise hupend um mich und andere Autofahrer vor noch dickeren Schwaden zu warnen. Aber ich denke mir mit Lale Andersen „Es geht alles vorüber, es geht alles vorbei.“ Die Vogesen sind eben zuallererst ein Gebirge und irgendwo ist das Gebirge auch mal an seiner höchsten Stelle und der Nebel hat ein Einsehen.

Es ist so gegen vierzehn Uhr als das plötzlich und unerwartet passiert: Der Nebel reisst ab, über den Wipfeln der Bäume ist die Sonne, dazu strahlend azurblauer Himmel und einige weisse Wölkchen. So muss die französische Fahne entstanden sein, denke ich mir: das Rot des Blutes der „révolution“ kam dann später noch hinzu. Um mich herum sehe ich nun Unmengen von saftig grünen Tannen, gemischt mit einigen Laubbäumen und nach etwa zwanzig Minuten weiterer Fahrt erblicken meine Augen einen kleinen See, wieder leicht bedeckt von Nebelschwaden. Ich finde das kurios, denn mein Nebel auf der Straße hatte sich schon vor einiger Zeit verzogen. Ich halte an, denn das interessierte mich. Ganz einfach, denke ich: in der Ebene gibt es Seen, die heizen sich am Tag so weit auf, dass das Wasser am frühen Morgen immer noch wärmer ist als die umgebende Luft. Das ergibt dann den Nebel. Aber hier und heute und am Nachmittag? Ist das kalte Wasser an diesem See vielleicht durch vulkanische Kräfte erwärmt worden? Aber die sind doch schon lange erloschen, oder?

Ein See in den Vogesen mit kaltem klaren Wasser

Als ich aus dem Auto aussteige, fröstelt es mich. U mich herum sind es sind wohl nur um die 12° Celsius und das erklärte auch den Nebel. Langsam gehe ich zum Rand des Sees, nehme meine (man möge mir diese Blasphemie in den Vogesen verzeihen) leere Flasche „Perrier“ und fülle etwas Seewasser hinein – schließlich steht auf dem Etikett zu lesen: „Déclarée d’intéret public“. Ich bin mutig genug anzunehmen, dass das Wasser trinkbar ist, vergesse jegliche Vorsicht, die man mir in meinen 43 Jahren moderner Kultur antrainiert hat. Drei Schlucke nehme ich. Herrlich: Es ist tatsächlich kaltes klares Wasser.

So schön ist es hier, dass ich hier gleich auch noch etwas essen möchte. Natürlich habe ich ein Baguette aus Colmar, einige „tranches“ demi-sel Butter und meinem Camembert „Moulé à la Louche de Normandie“. Das ganze Auto riecht inzwischen nach ihm, denn es ist schon mein dritter und gekauft hatte ich ihn als „MonoPrix Gourmet“, womit auch die Handelskette verraten sei, bei der ich die Käse erstanden hatte. Ich schüttele meinen Kopf und denke: eigentlich wollte ich doch unbedingt noch nach Nancy. Und trotzdem sitze ich immer noch hier an diesen See und es ist schon bald vier Uhr am Nachmittag und ich schreibe trotz meiner Zeitnot auch noch all dies, was Sie hier lesen können, gerade in meinen IBM-Laptop. Kaum zu fassen ist das, weder in Worte noch Gedanken. Ein Sinnspruch passt hier. Er ist von Budda und Mike Korff hatte ihn mir gestern mit auf die weitere Reise gegeben: „Suche nicht den Weg zum Glück, denn der Weg ist dein Ziel.“ Wie wahr!

Fahren Sie doch auch einmal in die Vogesen, setzen sich an einem See, essen Brot und Käse, genießen den Moment und vielleicht verstehen Sie es dann.

Weicher warmer Käse: Mein Camembert „Moule à la Louche de Normandie“

Eine Geschichte lohnt es noch, hier zu erzählen, weil sie – obwohl recht kurz und im Grunde unbedeutend – mir genau so passierte. Als ich vorgestern auf einer Raststätte in der Bourgogne war, hielt hinter mir ein junger Mann mit einem braunen Automobil und direkt hinter ihm ein silbernes Automobil, dem zwei Polizisten entstiegen. Beide aber nicht im gleichen Zivil wie ihr Fahrzeug, sondern es waren richtige Flicks mit dem blauem Hut und der originalen Uniform französischer Polizisten, die Louis Germain David de Funès de Galarza einst weltbekannt machte. Derart unauffällig sind also Frankreichs Zivilbeamte, wenn sie Verbrecher jagen, denke ich. Und in diesem speziellen Moment waren sie wohl auf der Jagd nach einem gefährlichen Terroristen, denn als der junge Mann seine Papiere präsentiert hatte, fuhren beide wieder unverrichteter Dinge davon: war wohl nichts! Ebenso wie der junge Mann schaute auch ich ihnen lange hinterher, denn man weiss ja nie, ob nicht vielleicht doch noch irgend etwas Ungewöhnliches passiert. Hier in den Vogesen aber fühlte ich mich an diesem Nachmittag vor derart Zwischenfällen sicher. Und ich genoss die Ruhe und Abgeschiedenheit und fing zu allem Überfluss auch noch an zu träumen.

Nachdem ich so gegen halb fünf Uhr ausgeträumt und meinen Abfall sorgfältig wieder im Fahrzeug verstaut habe – so schön kann es also sein, unbeschwert solo zu reisen – führt mich mein weiterer Weg dann doch noch nach Nancy. Dort halte ich aber nur kurz an, folge nicht den Wegweisern nach Paris (330 km) oder gar Luxembourg (150 km) sondern fahre weiter über die Landstraßen nach Verdun, da mit dieser Stadt für immer eines der dunkelsten Kapitel französich-deutscher Geschichte verbunden ist. Vor achtundzwanzig Jahren war ich schon einmal mit einen Eltern dort gewesen. Zu jung damals, um alles zu verstehen. Jetzt, unter anderem dank der Texte Kurt Tucholskys, besuche und versuche ich Verdun ein zweites Mal.

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